Morgens vor der (großen) Hitze, also gegen sieben, ziehe ich los, um ein paar Farben einzufangen. Und die gibt es auf der Insel zuhauf. Falls eine Studie existiert, die sich mit den Hintergründen für extrem farbintensive Fassaden-Kultur auseinandersetzt, dann würde ich sie sehr gerne lesen.
Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an. (Marc Aurel)
Aus den Schildläusen auf den Kakteen kam früher das Rot, aus Schnecken vor der Küste das helle Blau. Selbst die ärmlichste Hütte wird durch einen knallgrünen oder violetten Anstrich reicher und erscheint mit einem Mal viel weniger trist. Das mag hierzulande wenigstens ein Grund für die große Farbenfreude sein. Salsamusik schallt aus jeder noch so abgewrackten Bretterbude, völlig übersteuert, Hauptsache laut. Und kurz darauf erscheint ein freundliches Gesicht im Türverschlag, dessen lachender Mund silberüberkronte Zähne freigibt. Ich habe mich anfangs auf dem Festland gerne davon anstecken lassen, hier ist es an mir, andere anzustecken. Es funktioniert prima. (Übrigens auch in Deutschland. Einfach mal ausprobieren: Menschen beim Vorübergehen anlächeln.)
Aus den dicken weißen mit edlem Holz verbrämten Villen, die eher am Stadtrand und unbedingt am Strand gebaut sind, hört man keinen Ton. Zuweilen erschreckend wirken die großen so nahe beieinander liegenden Kontraste hier auf der Insel. In zweiter Reihe, 20 Meter von der Tourimeile entfernt, sieht man Häuser, die bei uns umgehend entfernt würden, da sie das Stadtbild verunglimpfen könnten.

Im Mercado Municipal tobt nicht das Leben, wie ich es vermutet hätte. Viele Verkaufsnischen sind leer und die paar Läden sind mehr als spärlich ausgestattet.
Kein Tourist lässt sich hier blicken. Ausschließlich Mexikaner verkaufen, kaufen oder sitzen (kleben) auf Plastikstühlen Taco- oder Quesadilla essend bei einem der vielen kleinen Anbieter. Laute Musik dröhnt durch die schmuddeligen Hallen und dennoch fühle ich mich hier wohl. Es macht Spaß, sein Obst hier beim Kleinhändler zu kaufen.
Ist das ein Backgammon-Tisch??

Keine einzige Karte habe ich geschrieben, obwohl ich mehrfach darum gebeten wurde. Nicht etwa böser Wille oder gar Faulheit sind als Gründe zu nennen. Nein, es gab derer viele. So erwies es sich beispielsweise als schwierig, überhaupt ein beschreibbares Medium, namens Ansichtskarte zu erwerben. Genau genommen gab es das gar nicht. Ebenso wenig wie eine Post oder ein Briefkasten. Dies hier ist das erste Postgebäude, das ich in Mexiko erlebe. Aber vielleicht denke ich nicht mal mehr darüber nach, irgendetwas zu verschicken. Lohnt sich jetzt auch nicht mehr, denn bis zur Ankunft ebendieser Postkarte ist mein Sabbatjahr sicherlich schon lange rum.
Aber Tourismus hin (bin ja im Moment selber Tourist) Knappheit und Armut her, ein bisschen Karibikfeeling bekommt man dennoch frei Haus. Die Strände sind öffentlich und man kann sich, wenn man Glück hat, unter einer Palme im mehlfeinen Sand den Rücken wärmen. Wenn ich keinen (notwenigen) natürlichen Schattenplatz ergattern kann und natürlich gebe ich keinen Peso für eine Liege aus, bleibe ich einfach im badewannenwarmen Wasser, bis meine Extremitäten schrumpelig werden. Danach einen Mojito, der hier durchaus erschwinglich (5-6 €) ist, wenngleich man auch immer sehr deutlich auf das doch nicht zu unterlassende Propina (Trinkgeld) hingewiesen wird.
Noch etwas, das mir auffällt. Vertrauen gegenüber Gringas scheint hier nicht sehr ausgeprägt. Wobei ich damit nur die Inseln meine. Vorabbezahlung ist obligatorisch und die Ladenbesitzer stehen gerne dicht nebendran, bis man sich für eines ihrer Produkte entschieden hat. Nach einem freundlichen Hinweis, man möge mich doch bitte in Ruhe schauen lassen, tritt er genau einen Schritt beiseite und screent haargenau mein Handeln. So spare ich viel Geld. Traurig finde ich dabei, dass dieses Misstrauen wohl begründet ist, womit auch immer. Im Inland habe ich das völlig anders wahr genommen.
Morgen nachmittag verlasse ich den Kontinent. Ich bin in solchen Fällen auffällig melancholisch. Dazu auch noch ne ganz schöne Heuelsuse und ich weiß jetzt schon, wie es mir geht, sobald ich auf der Fähre nach Cancún sitze.
Ich werde Mexiko vermissen!
Nicht alles, aber ganz viel. Darüber werde ich morgen am Flughafen nochmal in Ruhe nachdenken und versuchen, es in Worte zu fassen.
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Gregor Common (Montag, 19 August 2019 08:12)
Guten Morgen Reisende. Ein wunderbarer Text und er schürt das Fernweh ungemein. Die Menschen werden in den beiden nächsten Dekaden wieder mehr zusammen rücken - so meine Hoffnung und umso mehr werden sie von sich aus wieder lächeln. True values will rise!!!! Komm gut zurück nach Europa, Gregor